Düsterbunt, politisch und familiär. Ein Herbstmond-Konzert tourt in der Provinz und landen im niedersächsischen Asendorf. 2021 prickelt in diesem Ort mit seinen knapp 3000 Einwohnern der Nabel der schwarzen Szene, beim Autumn Moon Tribute Festival.
Kraniche kicken Beats
Wem auf 15 Straßenkilometern kein PKW begegnet und wer stattdessen, so wie ich, durch die Windschutzscheibe Tausende Kraniche sieht, die nahe der Straße auf abgeernteten Maisfelder Körnerreste fressen, ist irgendwo zwischen Minden und Bremen unterwegs.
Zu hören sind Vogelschreie statt elektronischer Dark-Wave-Vibes. Noch. Denn mitten in der Heide ist gefühlt am ersten Novemberwochenende Open Air Saisonabschluss für die wenigen schwarzen Festivals des zweiten Corona-Jahres. Das Herbstmond-Festival lässt es dafür noch einmal so richtig krachen. Unterwegs mit gern gehörten Bands und – Neuentdeckungen?
Mit Faun, in der Natur und von den Elben
Samstag, 14 Uhr, ein trüber Himmel beleuchtet das Gelände rund um das Kulturhaus B.O. von Veranstalter Dominik Wrhel. Der dritte Festivaltag wird eröffnet mit den Musikanten von Faun, die schon 2017 beim Autumn Moon in Hameln spielten und eine 730 km lange Anreise von München hinter sich haben. Noch nie seien sie so früh aufgetreten, klagt Sänger Oliver „SaTyr“ Pade angesichts dieser „Frühstücksshow”. Die Faune spielen sich warm. Ihr smoother Papan-Folk, der mittelalterlich instrumentiert mit Flöte, Laute oder Nyckelharpa, sphärisch inspiriert durch den sirenenhaften Gesang der beiden „Waldelfen“ Adaya Lancha Bairacli und Laura Fella, feinjustiert von Niel Mitras Synthesizer, genau auf den Takt gebracht von Schlagwerker Rüdiger Maul, flutscht geradewegs in die Gehörgänge. Balladen nach „Wenn wir uns wiedersehn”-Art oder Tanzlieder wie „Walpurgisnacht” reißen das Publikum mit. Das Gelände füllt sich nicht, wie möglicherweise von den Verantwortlichen für diesen früh angesetzten Top-Act erhofft. Es bleibt überschaubar.
Corona 4.0 und kaum Matsch
Mitten in der vierten Welle steckend, dürfen sich die Fans mit den geltenden Hygiene-Regeln 3G für draußen und 2G für die Clubkonzerte sicher fühlen, denn die Einlasskontrolleure der FCSH (First Class Security Hameln) schauen genau hin. Die Musiker aus den Niederlanden, Schweden, Frankreich und vorwiegend Deutschland reisen, trotz Pandemie, problemlos an. Einige haben mit gesundheitlichen Schwächen zu kämpfen, so musste die Tanzwut ihren Auftritt am Donnerstag wegen Krankheit absagen(eingesprungen sind Comes Vagantes), während der Sänger von Je T´aime am Samstag mit Knöchelbruch und Gipsbein die Bühne abriss. Sogar das Wetter zeigt sich solidarisch mit den Fans, von oben bleibt es trocken, von unten spannend.
Elektronischer Biss aus Schweden
Sängerin Gabriella Åström wirkt hungrig und aufgeregt. Es ist ihr erster Auftritt mit „Me The Tiger“ seit vier Jahren. 2015 sah Hameln das Elektro-Pop-Trio erstmalig beim Autumn Moon, es beeindruckte aus dem Stand heraus das Publikum in der Sumpfblume. „What is beautiful never dies…” sagt die Band auf ihrer Webseite, so lautet der Titel ihres letzten Album. Textlich geht es hauptsächlich darum, dass man nie den Glauben an das Gute und Richtige im Leben verlieren sollte. Musik als Philosophie. Der matschige Fotograben bleibt leer, die Fans verteilen sich auf Abstand. Im Club starten Fuchsteufelswild exakt zeitgleich nach langem Soundcheck. Entscheidungen. Später zeigen nicht nur die verspätet eintreffenden Bühnenfotografen ihren Daumen hoch für den raubtiermäßig guten Insider-Auftritt des Schwedentrios. Auch Vasi Vallis(Frozen Plasma) hält sein Smartphone hoch. Auf Tuchfühlung mit auftretenden Künstlern zu sein gelingt beim Autumn Moon gut. Unterwegs auf dem Gelände stolpern wir zudem über Mitglieder der Ye Banished Privateers aus Schweden, dazu später mehr.
Zurück zu Me The Tiger mit ein paar Infos über die Band mit Schmackes, deren Mitglieder, ebenso wie jene von Sabaton, aus Falun stammen. Ihre Alben werden von RepoRecords, einem kleinen Label in Hameln, produziert. Das Independent-Musikunternehmen führt bereits namhafte Artisten wie Funker Vogt, Eisfabrik, Agonize und Birthday Massacre in seiner Kundenliste auf.
Gitarrist und Soundkünstler Tobias Andersson geht ab wie ein Zäpfchen, kickt sein Bein in die Luft und tanzt sich in Trance. Er reißt die Zuschauer, die ihnen bereits verfallen sind, mit hinein in eine elektronische Gute-Laune-Klangwelt, die sowohl zum Mithotten auffordert als auch Raum zum Träumen lässt. Åström, die mit ihrer Stimme sowohl Musical als auch Rock singen kann, kiekst auf den Punkt gekonnt, den ins Ohr-Lümmler „As we really are”.
„Pocket Sized Edition Ending“ enthält bereits alle Elemente, die das Trio auszeichnen, sie haben ihren eigenen Stil gefunden: Einen Energy-Drink aus kraftvollen Akkorden, trunkenen Rhythmen und süßen Emotionen.
Nach 10 Songs ist leider Schluss und kaum Zeit für Gespräche, denn die Band muss ihre Instrumente und Utensilien von der Bühne abräumen. Den Schlusstakt gibt Jonas Martinsson an. Der Schlagzeuger im Hintergrund verbeugt sich artig und wirft seine Drumsticks ins Publikum. Glücklich ist, wer fangen kann.
Ein Cut für Wärme
Für sein Herbstmond-Festival wuselt Veranstalter Dominik Wrhel den ganzen Nachmittag mit Dingen über das Festivalgelände. Er schleppt Feuerlöscher und Verbrennbares für die Feuerstellen heran, verteilt Mülltüten. Als Gastgeber, schaffend wie die vielen Helfer, die dieses familiäre Event ermöglichen.
Die Verkaufsstände für Knöpfe, Schmuck und Crêpes bilden rechtsseitig den Abschluss auf dem Gelände vom Kulturhaus Bo in Asendorf. Ein zur Feuershow abgesperrter Bereich ist für Kleinkünstler wie Comes Vagantes, die Heilige Dreischeußlichkeit und die Elements of Fire separiert. Von der Open Air Bühne bis dahin sind es weniger als 50 Schritte. Frühabendliche Novemberkälte kriecht feucht von den Füßen hoch bis zu den Knien. Zeit, etwas Wärme zu genießen? Mitnichten. Betrachten wir das nächste musikalische Trio dieses Events, welches auf der Wasteland-Bühne 2018 in Wacken als Herrschaft auftrat und nun in Asendorf als Je T’Aime sein Publikum liebt.
17 Uhr, es dunkelt in der Heide. Nicht nur in der niedersächsischen Provinz stellen Je T´Aime aus Paris eine unbekannte Größe dar. Wir begeben uns auf eine Internet-Recherche. Das Cold Punk Wave-Trio im World-Wide-Web zu finden, gleicht einem Puzzle mit schwarzen Teilen (https://www.jetaime-music.com/). Doch das Autumn Moon vermag ja mit neuen Bands, die vom Stand weg überzeugen, überraschen.
Die Franzosen singen englisch, ihr allererster Song „The Sound” erschien 2018. Hassen oder Lieben – dieses Lied inklusive der schrägen Tonleitern entwickelt auf der Asendorfer Bühne eine unfassbare Eigendynamik. Mit ihrem abgefahrenen Stilmix erinnert die Musik von Je T‘ Aime an The Cure auf Speed, wie die elektrisierende Trance Dance Synthie Nummer „Give me more Kohl“ zeigt. Das Drumpad verbreitet – gekonnt – elektronische Vibes, die sich in die Innereien schleichen, die Gitarre setzt die dazu passenden Akzente. Wohlfühldinge im Real Life.
Als Bassist spielt Zoé von Herrschaft (Herrschaft, die Band: Industrial Metal, ex-Alcest), sowie Gilles Facquet (Tall Bastard) an der Saiten. Sänger Daniel Armand (DBoy, auch Herrschaft), der sich stimmlich mit Morrissey messen lassen darf, rockt im Krankenhaushemd und schwarzem Slip als fulminante Rampensau. Er ackert mit seinem nicht operierten Knöchel über die Bühne, als gäbe es keine Auftritte mehr. So etwas online im Wohnzimmer scheint undenkbar; solche Verrücktheiten passieren ausschließlich live. (Zum Vormerken für den Kalender: Je T´Aime spielen (wieder einmal) beim Owls´n´Bates Festival am 2. Juli 2022 in Detmold.) Zeit, durchzuatmen.
Nachdenkliches, Feuer und Futtern
Auf dem Gelände verteilen sich Feuerstellen. Die Mehrheit der Fans bevorzugt an diesem Tag den norddeutschen Zwiebellook. Wetterfest schwarz, fantasievoll gewandet, in Stiefeln oder – wie der hässliche Hans – barfuß. Die wenigen Szene-Hingucker ziehen Blicke auf sich, Set-Fotografen grüßen mit der Abstand-Faust treue Fans.
Im Biergarten vorm Haus, rocken die Spielleute Comes Vagantes aus Hoya mit Dudelsack und Trommeln, sie hatten mit knappen 12 Kilometern die kürzeste Anfahrt zum Veranstaltungsort. Die örtliche Kreiszeitung entscheidet, das Autumn Moon Tribute anzukündigen und, so lautet die – von uns unkommentierte – Antwort der Redaktion: „Die Mediengruppe ist allerdings dazu übergegangen, Konzerte in der Regel nicht mehr nachzuberichten.“
Das Hl.-Dreischeußlichkeitstrio mit dem Hässlichen Hans, Bruder Rectus und dem Tod sucht sich eine Zuschauerin und bindet diese in ihre amüsant umgestalteten Fassungen bekannter Märchen und Geschichten ein. Diese Einlagen sind bekannt von den Veranstaltungen des Mittelalterlich Phantasie Spectaculum, und immer mit viel Beifall begleitet. Die Stände bieten Crêpes und Knöpfe, Glöckchen, Trommeln und Klangfrösche. Schmuckwerk weckt Begehrlichkeiten, doch wenig Kaufinteresse. Anstehen muss der Besucher – gefühlt normal – nur hungrig am Flachteig-Stand. Warmes Essen bietet zudem die Küche des Wrhelschen Kulturhauses, doch drinnen essen oder im Wintergarten der Überraschungsband lauschen, ist den 2G-Gästen vorbehalten.
Leider füllen selbst Acts wie Fuchsteufelswild, Minusheart und Bragolin im späten Herbst 2021 den Saal des Kulturhauses mit der gemütlichen Sessellandschaft kaum.
Angekündigt und gekommen sind die „Swedish Buccaneers“, Mitglieder von Ye Banished Privateers und Maccabe und Kanaka, die in eine gemeinsame Session mit keltischen Folk-Klassikern wie „The Belle of Belfast“ oder sentimentale Balladen nach „Ride on“-Art singspielen. Die Sitzplätze sind ausgeschöpft, die Zuschauer speisen Seite an Seite mit Mönchsbruder Rectus von der Heiligen Dreischeußlichkeit.
Für die Band Irdorath gibt es ein virtuelles Hugging auf Leinwand und in Ansprachen. Die Musiker aus Belarus, die 2017 in Hameln mit ihrem Mittelalterrock begeisterten, sind seit Monaten inhaftiert, weil sie auf einer Menschenrechts-Demo Dudelsack gespielt und kritische Texte gesungen haben. Musiker, Fans und Initiativen kämpfen für die Freiheit ihrer Freunde. Auch in der Heide. #freeindorath
Nach Anbruch der Dämmerung glänzen Elements of Fire, die bereits den ganzen Nachmittag werbemäßig über das Gelände streifen, mit ihrem funkensprühenden Spiel aus Feuer und Licht.
Ein echter Erbe der Dichter und Denker von einst
„Raus aus allem was Fühlen kann“ klingt ganz nach einem Planspiel nach Oswald Henke. Für Fotografen stellen Goethes Erben eine echte Herausforderung dar. Mit dem grausamem Backlight kämpfen oder sich völlig dem Schauspiel hingeben, es gewinnt definitiv – der inszenierte Song, wie schon 2019 in der Rattenfängerstadt und die Linse bleibt tot. Für seine intensiven Auftritte ist Oswald Henke bekannt, er stopft sich auf der Bühne Papierschnipsel in seinen Mund, kniet vor allgegenwärtigen Kameras und zeigt die unschöne Seite der steten Präsenz in den Medien so visuell. Blaugrau verschwommen. Selbst der Auftritt von Benni Cellini von der Letzten Instanz als Headbangendem Gastmusiker gerät mit seinem Cello als Schattenspiel. Der Dichter Goethe war als Naturforscher sehr aktiv, Henkes „Eissturm“ aber endet lyrisch apokalyptisch. „Allein – zu zweit, allein verlassen…, Eissturm, die Sonne taut nur eins – das Eis, der Sturm – er schläft.“ Der Winter naht, die Corona-Zahlen steigen. Für die Reporterin dieses Events endet jetzt dieses letzte Open Air seiner Art in diesem Spätherbst, der im zweiten Jahr von einer weltweiten Pandemie bestimmt wird.
Nachtrag: Leider können wir das viertägige Festival aus Planungsgründen nur am Samstag besuchen. Absagen oder Verschiebungen von Veranstaltungen erfordern Flexibilität von Besuchern, Berichterstattern und Veranstaltern, die weit im Voraus mit 2G- oder 3G-Regeln disponieren. Das ähnelt einem Roulette-Spiel, mit der Frage, wohin die Kugel rollt: „Volle Kapazität oder halber Zulauf?“. Sie kann hier nicht abschließend beantwortet werden.
Der Vorverkauf zum Tribute-Festival läuft nicht optimal. Wer als Besucher über das regennasse Gelände schlendert, der wird an die gemütliche, aber überzeugende Premiere vom Autumn Moon mit der überschaubaren Menge von etwa 500 zahlenden Gästen in Hameln erinnert. Immerhin galt es mit diesem Gothic- und Mittelalterevent zwischen M´Era Luna und Bielefeld, bis 2019, eine Lücke zwischen Sommer und Frühling zu schließen.
Wrehl hofft auf das kommende Jahr, wenn sein Herbstmond-Festival mit dem Mystic Halloween Market wieder einkehrt in die von ihm erwählte Stadt, welche mit dem „düsteren Rattenfänger“ wirbt – Hameln. Keine Band tritt zweimal auf lautet des Veranstalters Maxime. Gut, von Ausnahmen abgesehen. So wie beim Autumn Moon Tribute in Asendorf. Andererseits macht Wiedersehen Freu(n)de.
Meine Kleidung riecht nach Holzfeuer. Bei kühlen 8° und stürmischen Winden und immens viel Laub auf den Straßen mache ich mich auf den Rückweg ins Weserbergland und hoffe auf 2022. Der Herbstmond versteckt sich neckisch hinter den Wolken über der Heide, fegt Blätter von den Bäumen und strahlt Hoffnung für 2022 aus. Die Kraniche schlafen.
Text by gela: 06.11.2021 Autumn Moon Tribute Open Air
Fotos by gela: Faun, Me The Tiger, Je T’aime, Frozen Plasma, Goethes Erben, Elements of Fire
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