Wer sich in der elektronischen Produktionsstätte des Future-Pop Quartetts Eisfabrik umschaut, stößt nicht nur auf das Logo vom vereisten Werksgebäude. Die vibrierenden Rhythmen vom Keyboard fordern bereits beim Einlass ein Wippen im Takt, während eine smarte Gesangsstimme das Konzept „Clubtaugliche Mucke, die nicht mit dem Mainstream kuschelt“ bewirbt. Auf der Bühne tanzt dazu ein Yeti.
„Die Maschinen in der Eisfabrik laufen wieder. Seid bereit, denn es wird kalt!“ (Eisfabrik auf Facebook zur Veröffentlichung von „Lost Control“)
Gegründet im Winter 2011/2012 als Kunst-Musik-Projekt stehen Charly Barth-Ricklefs (Gesang, Dr. Schnee), Gerrit Thomas (Keyboard, Der Frost), Jan Bertram (Keyboard, °Celcius) und Schlagzeuger René Dornbusch aktuell im zehnten Schaffensjahrzehnt. Fans dürfen sich seit dem 25. Februar über den sechsten Studio-Sampler „Life Below Zero“ freuen. Das neue Doppel-Album enthält 20 Songs plus sechs Bonus-Tracks. Es zeugt von einer intensiv genutzten Konzertpause.
Auf ihrer Webseite stellt die Band klar: „Eingängigkeit und unterkühlte Harmonie stehen bei Eisfabrik besonders im Fokus.“ Das ist richtig, denn konstant mixen die Tasten-Masterminds an den Reglern Musik zart zu Synth-Pop oder hart zu Dark-Elektro mit besonderem Augenmerk auf den Auftakt. Der Plattenteller dreht sich, wir rotieren in einige Songs rein.
Leben unter Null – mit Eisfabrik
Bei „Mirror“ stellt sich einmal mehr die Frage: „Spricht es für – oder gegen – ein Album, wenn dich der erste Song mit seinem bombastischen Anfang triggert und am Kragen auf den noch leeren Dancefloor zieht? Die Musiker, die hier an den Knöpfen der Soundmaschine drehen, experimentieren mit intensiven Rhythmen, die süchtig machen. Wir bleiben misstrauisch.
Schon der nächste Song „Saving Shore“ ruft mit seinem tiefen Griff ins Dramatische Tadel und Lob hervor. Zum einen liegt das an der orchestralen Einleitung, die in ähnlicher Form bereits andere Bands adaptiert haben (u.a. LOTL bei „For they don´t know what they done“), zum anderen am eisglatten Dance-Mix, bei dem die Hütte abbrennt.
Textlich gesehen verzichten die Eisfabrikanten auf hochfliegende Poesie. Den Traum vom Fliegen fasst Dr. Schnee kurz und präzise mit „Eins mit dem Wind“ zusammen, die sommerlich vibrierenden Töne des Keyboards berieseln den Eis-schleckenden Elektronic-Fan.
In ihrer Klangwerkstatt entstehen wandelbare Tracks wie „Neurodämon“, die mit heruntergekühlten Harmonien und dominanten Schlagwerken vom Techno über synthetische Klänge zum Pop mutieren, ohne ins Seichte abzugleiten.
Gefühlt stirbt die Temperatur bei schwermütigen Balladen wie „Lost in Endless Ice“ mehrfach Richtung Null während die Verlassenheit zunimmt. Zum einen durch die emotionale Stimme des Sängers, zum anderen durch den auf Sparflamme geschalteten Synthesizer ein Anspiel-Tipp.
„7even Days of Darkness“ mit auf- und abschwellenden Harmonien, Techno-Beats und dem Wechselspiel hell-düsterer Stimmen flutscht geradewegs in Richtung Dark-Elektro und punktet auf ganzer Linie.
Einer ihrer nachdenklichsten und zeitgemäßesten Future-Pop-Tracks heißt irritierenderweise „Energie“. Ein Song, dessen angenommener Mangel sich in minimalistischer Spielerei an Tasten und Knöpfen, gleichförmigem Gesang und visionärem Text bestens wiederspiegelt: „Ihr könnt uns hassen oder lieben, gebt uns Energie und euch den Frieden.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.
Die Meister an den Keyboards drehen bei „Lost Control“ die Rädchen auf Loslassen-Kurs. Wer beim Hören die Augen schließt, träumt von durchtanzten Nächten in angesagten Clubs, die pandemiebedingt seit zwei Jahren fehlen. Dieses Album könnte Lücken schließen und Wünsche wahr werden lassen.
„Life Below Zero“ kommt als typischer Eisfabrik-Tune daher, fluppt leichtfüßig ins Ohr und verlangt als eingängiger Pop-Dance-Cocktail danach, mehrfach genossen zu werden.
Mit „Ain´t Gonna Lie“ beschreitet das Quartett deutlich härtere Pfade und rollt die Würfel perfekt in Richtung EBM á la Front 242.
Das orchestral schmeichlerisch daherkommende „Over and Done“ ähnelt radiotauglichen Schlagern und stellt einige Lauscher auf Durchzug.
„Wages of Sin“ geht spektakulär mit Donner und der Lizenz zum Mehrfachhören an den Start. Das ausgefeilte Future-Dance-Pop-Synth-Gemenge lässt den Hörer jedoch unentschlossen zurück.
Mit der epischen Ballade „One More Tale“ endet die Reise in die futuristischen Eiswelten der Band ungewohnt verhalten. Gefühle schweben sprachlos im Raum angesichts des fein akzentuierten Klangkörpers, der das dunkle Timbre des Märchensängers hervorhebt. Die Zeit erstarrt, die Nadel hebt – und senkt sich wieder.
Fazit: Ungeachtet unserer kritischen Betrachtungsweise stellen wir fest: Das Album von Eisfabrik kommt krass an. Wer Future Pop mit Akzenten und spannungsgeladenen Auftakten mag, kriegt das ausgefeilte Können der vier Eisfabrikanten, ohne sich auf Experimente einlassen zu müssen. Die abwechslungsreichen Synth-Pop- oder EBM-Mixe verlangen in der Regel nach zappelnden Beinen auf Dancefloors in Clubatmosphäre, während ihre Balladen intimen Gletscherspalten gleichen und Gänsehaut erzeugen. Zur Bühnen-Performance von Eisfabrik gehört der oben erwähnte Yeti. Die Konzertsaison jenseits des Winters steht in den Startlöchern, hoffen wir, sie findet statt.
Wertung: 9 von 10 Punkten
Tracklist
CD1:
01.Mirror
02.Saving Shore
03.Eins mit dem Wind
04.Wait for a Sign
05.Neurodämon
06.Lost in Endless Ice
07.7even Days of Darkness
08.White Wings
09.Choose
10.Energie
11.Glück auf!
12.Lost Control
CD2:
01.Life Below Zero
02.Ain’t Gonna Lie
03.Over and Done
04.Wages of Sin
05.Zeit und Meer
06.Wake Up!
07.Alles still
08.One More Tale
Da uns der Bonus-CD im limitierte Fan-Package nicht vorlag, findet hier von unserer Seite keine Bewertung statt.
Bonus – CD:
01.Hallucinations
02.Once Before the Devil
03.Never Look Back
04.Strings of Life
05.Immortal Mirth
06.Schrei
Eisfabrik
Doppel-Album „Life Below Zero“ oder
Limitierte Fan-Box mit Bonus-CD mit sechs bisher unveröffentlichten Tracks
Label: NoCut
VÖ: 25.02.2022
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Eismusik