Gribbohm/Hasseldieksdamm/Wacken. Das aufgedrehteste Rock-Städtchen der Welt gröhlt in der ersten Augustwoche 2022 endlich wiedervereint: Wackööön! – oder so ähnlich.

„Horror“ lautet das Festivalmotto und tatsächlich erwartet die Fans Schaurig-Schönes. Wir werfen uns drei Tage in den Wacken-Wahnsinn und nehmen euch Stand-Up-gerecht mit in das Geschehen rund um die heiß vibrierenden Kuhweiden.

Danke an den unbewussten Klick auf die Homepage der Gemeinde (wacken.de). Wacken: 1148 erstmals urkundlich erwähnt, ist seit über 30 Jahren das Mekka für Heavy-Metal-Liebhaber. 2000 ständige Einwohner leben hier auf flachen 26 Meter üNN nur fünf Minuten von der Autobahn entfernt. In unmittelbarer Nähe zum Nord-Ostsee-Kanal, in den die Autorin, trotz viermaligem Wacken, bisher nicht gefallen ist. Ab heute gilt: Die gehörnte Hand hoch, www.wacken.com beginnt.

Brandneu ist das touristische Hinweisschild an der Autobahn. Ein „Ritterschlag“ für das Wacken Open Air, stellt Veranstalter Holger Hübner im Festivalmagazin stolz fest. Das ist schön, doch die Anfahrt gestaltet sich für das Mottoshirt-Volk – sagen wir mal, dezent-schwierig.

Der Frust-Mittwoch

Wer von Süden Hamburg am Mittwoch vor 8 Uhr morgens passiert, reiht sich bereits um 9 Uhr für sein Festival-Bändchen an. Für uns gut; wer später kommt, für den gelten Stau auf der Autobahn, stundenlanges Anstehen für den Ticket-Cash-Band-Tausch bei über 30° ohne Getränke, dazu Stress bei der Suche nach einem Platz für die eigenen Zeltwände und dessen Aufbau im Dunkeln. Verärgerte Fans kreisen in kilometerlangen Autoschlangen noch um 21.30 Uhr rund um den Trabanten Wacken.

Jene, die zusätzlich Tickets für diesen Sonder-Headliner-Tag besitzen, sind zu Recht gefrustet. Es helfe, gelassen zu bleiben und ein Bier mit Leidensgefährten teilen, stellt ein Nutzer lakonisch auf Facebook fest und sagt „Ändern kannst du eh nix“. Geschätzt bevölkern ab heute etwa 100.000 Menschen die Äcker von Wacken – Besucher, Ordner, Crews, Künstler, Bands, Einsatzkräfte, Rettungsdienste, Presse.

Unser Standort: Wacken?

Kühe grasen neben den abgezäunten Wiesen und betrachten neugierig den Trubel der Eintrudelnden. Eine Besucherin misst ihren Weg vom am weitest entlegenen Camping Area: 35 sportlich gelaufene Minuten bis ins Infield. Kilometer reißen gehört auf Wacken zum Alltag dazu. Karteninhaber schreiben belustigt an Freunde, sie machen Wanderurlaub in SH.

Der Netzempfang beweist: Camper nächtigen auf Flächen der Nachbargemeinden Gribbohm, Bokelrehm und Holstenniendorf. Das Internet ist zeitweilig oder je nach Standort bzw. Anbieter verfügbar: D2 läuft teilweise, oder überhaupt nicht, D1 funktioniert größtenteils. Dabei startet hier mitten auf dem Land gerade das größte Cashless Payment Experiment Deutschlands.

Münzlos bezahlen

Auf dem W:O:A-Gelände gilt in diesem Jahr ausschließlich Bezahlen per Chip. Dazu muss der Alu-Schnipsel am Festival-Bändchen zuerst an den, zugegeben intuitiv zu bedienenden Terminals aufgeladen werden. Über eine App und via Internet wird Konsumiertes abgebucht, hygienisch, sicher und fix. Soweit die Theorie…

Die Erfahrungsberichte von Nutzern zeigen, das bargeldlose Bezahlen läuft nicht rund. Einige haben ihr Band am Handgelenk unbemerkt verloren, bei anderen klappt das Abbuchen nicht, Standbesitzer können nicht öffnen, weil ihnen Internet fehlt. Nachteilig ist zudem, dass eine Kostenkontrolle einzig an den Terminals möglich ist, denn bei den gestiegenen Preisen (Beispiele: Wasser 4,50 €, Bier 5€, Langosch 7 €, Zyklopenspieß 8€) schwindet das Guthaben schnell.

Mit 83.400 verkauften Tickets klingeln die Kassen der WOA Festival GmbH. Das Paket ohne Mittwoch kostet 239 Euro, der zusätzliche Headliner-Tag schlägt mit etwa 70 Euro zu Buche. Satte 55 Konzerte auf 10 Locations warten an diesem Tag auf Zuschauende. Wir realisieren: Ein Festival ist eine nur teilweise planbare Abenteuerreise unter vorgefundenen Bedingungen. Ein Lageplan muss her.

Bühnen suchen

Ein Blick auf die Geländepläne zeigt: Am Platz des Beergardens (neu ohne eigene Bühne), welcher in den Bullhead-Bereich verlagert wird, steht jetzt die Louder (Vereinfacht sprechen wir von den Stages im Folgenden nur noch als Faster, Harder, Louder, Wackinger, W:E:T etc.). Perfekt für störungsfreien Hörgenuss und dank abschüssigem Gelände mit Super-Sicht auf das Bühnengeschehen. Supporter bieten Aussichtsplattformen an und ein ausgedehnt-überdachter Chill-Out Place lädt zum Verweilen ein. Die Stände stehen aufgelockert; es fehlen Händler, die stets vor Ort waren.

Das Bullhead-Zirkuszelt wird vermisst. Zu teuer, sagen Gerüchte. Offiziell stellt Hübner heraus, dass dieser Großraumschutz nur auf 10.000 Besucher zugelassen wäre, und bei Unwetter geräumt werden muss. Nachvollziehbare Argumente, um deren Bühnen W.E.T. und Headbanger ins Open Air zu verlegen. Eine neue Indoor-Bühne kommt hinzu, irgendwo im Ort.

Dorf mit Sperrstunde

Die innerörtliche Festmeile mit Vorgarten- und Wohnzimmerkneipen ist erreichbar über einen zwanzigminütigen Fußmarsch oder fünfminütig mit dem Shuttle-Bus vom Festivalgelände. Nicht wenige Wacken-Gänger und Touristen versacken ob der herzlichen Bewirtung, regelmäßig in Dorf. Das galt bisher, doch in diesem Jahr ist bereits um 22 Uhr Schluss mit Lustig für den von den Veranstaltern ungewollten Budenzauber außerhalb des offiziellen W:O:A-Bereiches.

Ein einziges Konzert findet heute in der „Metal Church“ statt. Die Atmosphäre in der kleinen Backstein-Dorfkirche stellt ein absolutes Go dar, die Plätze sind schnell vergeben. Hier shoutet Metaklapa, das stimmgewaltige A-Cappella-Sextett aus Kroatien, sich mit Iron-Maiden-Covern wie „Fear of the Dark“ in Heavy-Metal-Herzen. Zu sehen sind die Sänger abermals auf der Wackinger Stage und im Pressezelt, welcher bedauerlicherweise unter der Lautstärke der nahen Faster leidet. (Foto Metaklapa)

Als neue Location bietet der alteingesessene Landgasthof zur Post (LGH-Stage) Shows unter anderen von Thundermother unplugged und dem Wacken-Urgestein Skyline an. Wir erfahren, hier zündete Ende der 80er Jahre der Gedanke der Initiatoren, gleich nebenan das Open Air Festival zu etablieren und merken uns diese Clubstage für 2023.

Der Band-Mittwoch

Wie üblich startet das W:O:A offiziell mit den mittäglichen Blechklängen der Wacken Firefighters. Die Feuerwehrkapelle nimmt diesmal auf der Wackinger Platz und unterhält mit schmissiger Mucke die bereits Feiernden, während wir noch Pläne schmieden.

Angesagt ist unter anderem das Verbiegen beim Metal Yoga, das traditionelle Schlammsuhlen (künstlich bewässert), die Gaudi beim Bruchenball-Turnier, die Bewunderung der Paraden und Feuershows. End-Zeit-Darsteller wirbeln mit Car Aktionen Staubwolken auf, während der Satiriker Heinz Strunk vor überschaubarer Menge auf der Jungle-Bühne aus seinen Werken liest.

Das bestens frequentierte örtliche Freibad lockt, doch Brothers of Metal zünden ihre erste Show auf Wacken. Zwei männlich markante Voices, eine weibliche High-End-Stimme, drei elektrisierende Strom-Gitarren, ein entspannt-groovender Bass und ein Schlagwerker, der dem Powermetal-Achter aus der Provinz Darlana den Takt diktiert, füllen die Stage. Die Schweden widmen sich in allen Facetten der nordischen Mythologie und erinnern mit ihrem Power-Metal an bekannte Größen.

Murphys Law schlägt für die Kraft-Metaler Gloryhammer gnadenlos zu. Dem Quintett rund um Christopher Bowes (Alestorm) bleibt nach Flugausfall, Zugfahrt, Stau und Verspätung nur 20 Minuten zum harten Abrocken. Schade für den gefeierten Auftritt, aber wie bereits die Unwetterausfälle 2019 zeigten: W:O:A-Zeitpläne werden eisern eingehalten.

Eine Absage, die, musikalisch gesprochen, weh tut, ist die von Lindemann. Avantasia springen ein. Mastermind Toby Sammet ist Wacken-Veteran, hat sich seine ersten Sporen 1998 in Getränken verdient und war seither bereits 11 Mal zu Gast. Sammet kickt seine Stiefel in die vorhandenen Startlöcher, schnappt sich unter anderen Eric Martin, Bob Catley und Ralf Scheepers und spult gekonnt seine bekannte Symphonic-Metal-Evergreen-Show Avantasia ab.

Harte Rockmusik, getunt mit entspannten Disco-Blues-Moves und progressiven Ideen-Geplätscher bietet das hammergeile The Night Flight Orchestra. Gegen Mitternacht feiern mit ihnen Tausende Metalheads im aufgedrehten Classic-Rock-Party-Modus. Derweil nähert sich das Drama der Anreisenden dem Ende.

Die Donnerstags-Bands

Vom Tau nässen die Zeltwände in der Nacht heftig ein. Im eigenen Shelter kuscheln wir bei gemütlichen 15° plus. Ab 2 Uhr herrscht auf unserem Campingplatz tatsächlich Nachtruhe bis fast 8 Uhr am Donnerstag. Die neuen Camp-Regeln erlauben kein lautes Durchfeiern mehr.

Wettermäßig zusammengefasst, gehört 2022 zu den trockenen Hitze- und Staub-Jahren, die Sonnenmilch und Hut erfordern. Mitteilungen auf den Info-Tafeln mahnen, genügend Wasser zu trinken. Nicht so einfach beim Anstehen für Merch, Getränke, Essen, Wasser-Zapfstellen(nur sechs insgesamt), im Sanitär-Bereich, bei den Sanitätern…

Die frisch ins Boot geholten Partner Krombacher, Gerolsteiner und Wacken Apfelwein aus dem Odenwald versorgen die höllisch durstige Metal-Gemeinde. Trinkgelder klackern wie bisher in die bereitgestellten Münz-Spardosen, so ganz Cashless bleibt das Payment also nicht.

Reliquiae aus Osnabrück reißen nach ihrem 2019-Unwetter-Abbruch mit ihrer krachenden Mittelalterrock-Folk-Show die Wackinger ab, vor Hunderten Fähnchen schwenkender Fans.

Während der Corona-Beschränkungen spielten Thundermother auf dem Dach eines Feuerwehr-Einsatzwagens, vor Menschen in Liegestühlen oder im Schafstall. Heute geht’s für das seit 2017 neu formierte Quartett auf die Louder. Zu Recht. Die Power-Schwedinnen mischen überzeugend Hard- und Heavy-Rock mit Blueseinschüssen.

Hämatom schließen mit dem ersten ihrer zwei Sets an. Die NDH-Band steht mit ihrer im Corona-Konzertvakuum entstandene Berlin Show auf der Bühne und schlägt komplett ungewohnte Töne an. Swing statt Krachmusik. Die akustischen Retro-Sounds der Mid-Zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts grooven unterlegt von Bläsern authentisch. Unser Wacken-Bild wackelt.

Im ausgedehnten Wasteland, welches jetzt oberhalb der Bullhead City liegt, röhrt dumpf „Brutus“, der Eigenbau-Rennwagen des Technikmuseums Sinsheim. Er zieht massenhaft Blicke und lauschende Ohren an. An Bord hat das Modell von 1907 einen abartig brüllenden 12-Zylinder BMW-Flugmotor. (Foto)

Mit der feurigen Szene-Stage und seinen gruselschönen Zombie-Darstellern liegt das Endzeit-Land trendy im diesjährigen Motto.

Zwischenzeitlich besuchen wir die nächsten Schweden, die innovativ den Heiligen Metalground beackern: Mister Misery. Gegründet 2018, mixt das auf Untot-schön geschminkte Tanz der Vampire-Quartett aggressiven Horror-Metal mit Oldschool Rock´n´Roll. Wir packen die junge Band auf der W:E:T in die Kategorie Beobachten.

Über den Horizont schieben sich am Spätnachmittag dunkle Wolken heran. Nachdem heftige Schweißströme flossen, kühlt der Ü30°-Tag jedoch ohne Regen ab.

Grave Digger beackern als zweit-älteste Band (40 Jahre plus zwei) die Harder mit Unterstützung eines großen Drum´n´Bugle Corps. Wir chillen auf Holz-Paletten unter Bäumen neben dem WOA Logo Schild im übersichtlich gefüllten Infield. Der Metal-Dino punktet mit seiner üppigen Show und dem keltischen Spirit. „The Clans they rise again“ schleicht sich einmal mehr ins Ohr und setzt sich fest.

Über der hohen Tür zwischen den Hauptbühnen bauen derweil fast unbemerkt Rowdys eine Bühne auf. Als Überraschungsband für den Abend supporten Amon Amarth via Social Media die Guardians of Asgaard. Der Event würde nach Dirkschneider stattfinden, heißt es.

Dann laufen Dutzende Menschen als Wikinger gewandet, vor den Hauptstages auf. Mit den ersten Tönen wird deutlich, auf der Mini-Stage hoch über dem Gelände treten letztlich Amon Amarth selbst auf. Die Schweden feiern die kommende Premiere ihres neues Albums und das W:O:A-Publikum hört einige brandneue Songs vom Album „The Great Heathen Army“, die, zugegeben, begeistern. Das nächste W:O:A Thema lautet übrigens Wikinger, womit ein weiterer der noch unbekannten Headliner 2023 fest stehen dürfte.

Wie GWAR zu ihrem Namen gekommen sind, bleibt rätselhaft. Schlüssig erscheint die Theorie, GWAR stehe für „God, What an Awful Racket!“ („Gott, was für ein schrecklicher Lärm!“). Ob damit die abgrundtiefen Growls gemeint sind? Das amerikanische Punk-Hardcore-Trash Quartett schockt einfallsreicher als Rammstein. Es fließen Kunstblut und –sperma in Strömen, wie die ersten Reihen hautnah mitbekommen. Ihr irrwitziger Auftritt auf der Louder hinterlässt Spuren, bleibt in Zuschauerzahlen ausgedrückt, aber überschaubar.

Zeitgleich rocken die Heavy Metal-Veteranen Judas Priest (50+2 Jahre) die Faster. Die Briten stehen für Konstanz im Metal-Business und spulen ihr Best-of-Set mit Klassikern wie „Painkiller“ oder „Breaking the Law“ zum fünften Mal auf dem Holy Ground ab. Rob Halford (71 Jahre) galt langjährig als Metal God für höchst atmosphärische Screams. Seine besten Zeiten scheinen vorbei, stellen einige Zuschauer fest und verweisen auf das schwache „One Shot At Glory“. Ob es an der fortgeschrittenen Uhrzeit oder am Set liegt, diverse Fans kehren nach der ersten Hälfte dem Infield den Rücken.

Black Friday

Freitag, 2:03 Uhr, frisch geduscht. Im Camp nebenan feiern unsere Rendsburger Nachbarn mit Freunden ungehört im umgebauten Truck. Der stinkende Dieselgenerator dagegen läuft die ganze Nacht durch und nervt. Irgendwann frühmorgens plätschert Regen vom Himmel. Bei wolkenreichen 20° starten wir mit Trockenbrot und Resten einer Dauer-Kabanossi in unseren finalen Wacken-Tag. Zum Nachtisch gibt es schwarz-rote Wacken Bärchen. Denn zum 100. Geburtstag startet Gummisüßling-Fabrikant Haribo seine B:Ä:R-Edition mit Fassbrausegeschmack. Unser Urteil: Mundet. Noch 16 Stunden bis zur Abfahrt.

Kissin´Dynamite´s heißer Mix aus Hardrock, Alternative und Pop erinnert gewollt an die Scorpions oder Bon Jovi. Die mittägliche Glam-Rock-Party von Sänger Johannes Braun heizt die Fans an und sichert der Band ein Wiederkommen.

Nordirisch und Problem gestählt sind Therapy?. Das Trio stellt seit 1989 die Frage nach therapeutischer Behandlung und ist vor allem seit dem erfolgreichen 1994er Album „Troublegum“ für Alternativen Metal bzw. Rock bekannt, der sowohl in Indie-Clubs als auch auf der Louder zu Gehör kommt.

Mit südländischer Dramatik stehlen Lacuna Coil als Italiens erfolgreichster Alternative-Metal-Export etablierten Bands die Show. Cristina Scabbia´s tiefer, exzellenter Alt im Duett mit Sänger Andrea Ferro küsst liebevoll träumende Goth-Seelen.

In diesem Jahr interessiert wir uns für das Nebenprojekt von Behemoth Sänger Nergal (Adam Darski), Me And That Man. Statt gröhlend in diversen Spielarten des Death Metal abzurocken, rollt das begnadete polnische Talent Country, Blues und Folk auf die W.E.T und tanzt dazu energetisch. Abgefahren gut im Dusk-Till-Dawn-Spirit.

Nach der Aufforderung „Come on, brothers, sing with me!“ gröhlt am Ende des Wind Rose Debuts das feiernde Wackinger-Volk entschlossen: „I am a dwarf and I’m digging a hole, Diggy diggy hole, digging a hole“. Abgesehen davon, dass es nur mit Spitzhacke gelänge, die festgestampfte Erde aufzubrechen, umkreist dieser Fantasy-Metal-Ohrwurm das Hirn der Anwesenden in Dauerschleife.

Krank und schön. Kaum ein Name wäre passender für die Rock´n´Roll Freakshow (Eigenbezeichnung) für Sick´n´Beautiful aus Italien, die gleißender Schillern als der Eurovision Songcontest-Export Måneskin. Das Quintett mischt Metal mit industriellem Beat, reibendem Punk und einem Double-Shot Lady-Gaga-Pop. Südländisches Temperament, Hingucker-Outfits und eine unverwechselbare Mega-Voice recken den Daumen steil nach oben. Zu Recht stehen die Fans im Wasteland dichtgedrängt.

Zwischen 1998 und 2022 spielten die Mittelalter-Rocker In Extremo bereits neun Mal auf stets größeren Wacken Bühnen. Michi Rhein und sein Sackpfeifen-Drehleier-Trommel-Trumscheit-Sextett sind auf musikalischen Events stets ein Garant für Ekstase. Als eine der wenigen Bands „verbrennen“ sie ihre größten Hits gleich zu Anfang ihrer Show. Sie können es sich leisten.

Tiamat spalten Kritiker seit 35 Jahren. Einerseits schätzen wir dieses Urgestein des Goth-Metal ebenso wie die legendären Sisters of Mercy. Andererseits langweilen schemenhaft im Nebel stehende Musiker mit verhalten-düsteren Melodien schnell, wenn Emotional der Zündfunke nicht überspringt. Frontmann und Gründungsmitglied Johan Edlund bekennt sich in Interviews offen zum Satanismus und spezifiziert das mit: „als dunkle Seite meiner Person“.

Die Metalmaschine Slipknot gibt ihr Wacken-Debut und klärt über das Horror-meets-Metal-Phänomen auf. Mit „Disasterpiece“ und einem abgetrennten Kopf als Requisit rocken die maskierten Musiker aggressiv und beängstigend los. Die zusammengepferchten Metalheads gehen dazu ab wie Schmidts Katze: Mit Headbangen bis zum Schmerz, durchdrehenden Moshpits und Unmengen Crowdsurfern. Keine Frage, Slipknot werden wiederkommen.

Fazit:

Da sowohl das Wacken Open Air als auch das M´era Luna Festival in diesem Jahr auf das gleiche Wochenende fallen, ist es uns nicht ohne Abstriche möglich, beide Events in kompletter Länge zu besuchen. Fünf volle Festivaltage hintereinander, inklusive Anfahrt und Schlaflos, hinterlassen Spuren und Augenringe. Gut, dass sich das in 2023 wieder ändert.
Über die touristischen Spaßgucker und Influencer, die das Wacken-Spektakel seit Jahrzehnten anzieht, schütteln ergraute Metalheads tolerant die Köpfe – oder bleiben fort, wenn zu wenig Metal auf dem Programm steht. Die Frage: „Ist das noch Wacken oder kann das weg?“, stellt sich angesichts der extrem freudig gemixten harten Spielarten für Freunde des gepflegten Krachs durchaus, ist aber, ebenso wie das Krombacher Bier oder Wacken Mottos, eine reine Geschmackssache. Da gibt es in der eingeschworenen Metal-Familie eben unterschiedliche Meinungen.
Namhafte Bands sind teuer, doch sie ziehen zahlende Besucher an und sichern somit die wirtschaftliche Existenz unseres Gemeinschaftserlebnisses und dessen musikalische Vielfalt. Kein Bereich hat in den zwei Pandemiejahren wirtschaftlich gesehen mehr gelitten als die Kultur, die Solo-Selbstständigen und die Veranstaltungsbranche. Das Absage-Drama geht weiter, so springen Powerwolf am Samstag für die wegen Krankheit ausfallenden Limp Bizkit ein.
Zahlreiche Bands canceln bereits ihre Herbst-Touren, weil im Vorverkauf kaum Karten über den Tisch gehen, ob sie den nächsten, dritten Corona-Winter ohne Einnahmen überstehen, ist ungewiss. Unsere willkürliche Band-Auswahl zeigt einige der etwa 160 auftretenden Gruppen, Hip Hop Alligatoah fehlt dabei ebenso wie die Höhner und Schlager Layla.
Eine gewaltige Organisation und ein eingespieltes W:O:A-Team machen das Wacken Open Air seit Jahrzehnten möglich. In Zeiten von Personalmangel scheint es uns unpassend, über unerfahrene Helfer/Ordner zu meckern, die sich bemühen und in der Regel stets freundlich bleiben.
Für uns gesprochen, läuft das bargeldlose Bezahlen inklusive Pfand-Zurückbuchen reibungslos. Eventuelle Restguthaben spenden wir mit einem Klick an die Wacken Foundation, die Metal und Hard Rock Künstler und Bands fördert.
Die Full Metal Bags, Rettungspack und Souvenir für W:O:A-Besucher, sind gestrichen. Wichtige Inhalte wie Kondome und faltbare Wasserflaschen wären bei der Bändchen-Ausgabe auf Anfrage erhältlich, sagt die Festival-Homepage, die vor der Abfahrt unbedingt zu Rate gezogen werden muss. Die dortige Anfahrt-Ampel könnte helfen, zukünftig Stress zu vermeiden.
Statt eines Superzelt-Kaufmarktes versorgt ein übersichtlicher Farmers Market Besucher mit Essentiellem wie Dosen-Ravioli und bietet zudem regionale Spezialitäten, wie „St. Ginger“, einen Ingwer-Likör aus Hamburg, an.
Die Bilanz der Polizei fällt -wie seit Jahren schon- positiv aus. Für die 406 eingesetzten Polizeikräfte ist die Wacken-Woche friedlich und störungsfrei verlaufen, abgesehen vom Anreisechaos. Ein Zwischenfall jedoch beschäftigt die Beamten in Itzehoe, denn am Bundeswehr-Stand hat ein Fan (männlich, Wacken-Shirt, Motörhead-Cap) einen Panzer durch Auslösen der Halonlöschanlage erheblich beschädigt. Der Täter wurde bisher nicht gefunden.
Unschön: Etwa 590 Tonnen Müll kommen auf dem Campinggrün in diesem Jahr wieder zusammen. Etwas weniger als 2019, schätzen die Veranstalter im Gespräch mit dem NDR.
Nach fünf Stunden ausverkauft
Als Headliner für das W:O:A 2023 angekündigt werden Iron Maiden, Jinjer, Megadeth, Burning Witches, Ensiferum und Pentagram. Ihr Wacken Debut geben die Dropkick Murphys, Wardruna, Nervosa, Beartooth, Two Steps from Hell und Deicide. Die Kosten für die persönlichen, digitalisierten Tickets steigen auf 299 Euro im kommenden Jahr, allerdings für vier volle Festivaltage. Aktuell meldet der Veranstalter die Veranstaltung als Ausverkauft. Wer leer ausgeht, trägt sich in der Warteliste ein, nimmt Urlaub und hofft, wie in diesem Jahr, auf die vorm Stattfinden zurückgegebenen Tickets.
Fotos vom W:O:A

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