Mit ihrem sechsten Album „Bestia“ beschreiten Erdling erneut düsterrockig Untergangspfade. Dass Menschen ihr natürliches Umfeld systematisch vernichten, prügeln die Fünf mit Wurzeln in Essen ihren Lauschern unter neudeutsch harten Rhythmen, rohen Riffs und einer dominanten Bass-Drum überzeugend ins Gemüt. Zehn Songs, die Erdling-Fans inklusive der Musicghouls-Redaktion, in „Gesegnet und verflucht“-Kritiker spalten.
Die von den ehemaligen Schattenmännern Neill Freiwald und Niklas Kahl (jetzt Lord of the Lost) gegründete Formation Erdling feiert 2023 ihr neuntes Schaffensjahr und veröffentlicht am 28. April mit „Bestia“ ihr sechstes Studioalbum. Von energetisch-intensiven Gitarren-Neuzugängen, die dem bewährt dynamischen Sound auf dem taufrischen Silberling mehr Pep verleihen sollen, ist im Pressetext die Rede.
Gut getrommelt, doch wird bereits beim ersten Hören klar: Ein zweites „Yggdrasil“ mit Unter-die-Haut-gehenden Songs wie „Am Heiligen Hain“ steht aktuell nicht in den Startlöchern. Dafür klischeehaft Nachdenkliches, eine gesellschaftliche Kritik, verpackt in ungezähmten Hard-Rock, Endzeitstimmung mit mythologischen Bezügen. Songwriter Freiwald gibt sich wütend.
Furchterregendes Tier (lateinisch: Bestia)
Das bandtypische Songkonstrukt inklusive der bildhaften Refrains und Growl-Parts zieht sich durch die gesamte Scheibe, das dürfte Fans freuen. „Bestia“ und „Karthasis“ steigen als Kampfstiere mit durchgängig dominanten Bass-Drums in die umlagerte Metal-Arena. Die Erdlinge rocken die auf Lautstärke abgemischten Burner bis der Plattenteller vibriert. Klar eine Live-Empfehlung.
„Ich würde gerne wissen, wie wir mit unserer aktuellen Lebensweise in 1000 Jahren dar stehen – und ob die Menschheit dann überhaupt noch existiert.“ – Zitat Neill im Interview mit unserem Webzine
Den Texten auf Deutsch liegt eine Wagnerianische Weltuntergangsstimmung sowie Trauer zugrunde. „Deus“ schlichtes NDH-Fazit lautet „Tote Götter, tote Welt, keine Moral“, wobei der Text trotz Gejammers („wir sind ganz allein, niemand der uns führt“) eher zu „Hilf dir selbst, fleh nicht zu Gott“ rät. Konträr dazu kommt „Freiheit“ (im Tod) im populären Dark-Rock-Gewand mit weichen Synthie-Klängen und Brüchen aus tiefem Metal-Geschrei dem Fan entgegen, im Hintergrund singt der Chor „ahahaha“. Soweit, so unterhaltsam.
Hörenswert tiefgründig
Samtig reduziertes Piano-Geklimper findet sich bei der Ballade „Über Bord“ wieder, dessen anspruchslose ohoho-Refrains und smoothe Melodie den Lauscher vom kalten Deck der Titanic in einen umarmenden Abgrund reißt. Einer Live-Performance mit illuminierten Smartphonen steht hier nichts im Weg.
Im direkten Vergleich lauschen wir direkt in „Und die Erde singt“ rein, ein Genre-Radio-Player schlechthin. Dabei endet Freiwalds Story unfroh in einer Finsternis, die wie eine peitschende Zauberweide mit ihren Ästen auf alles Lebende einschlägt und alle Opfer in Reichweite verschlingt. Musikalisch geht es hin und her. „Der erste Regen“ ist überraschend dezent arrangiert und plätschert entspannt in die Gehörgänge.
Erdlings erste Maxi-Single hieß „Blitz und Donner“ und wurde 2015 veröffentlicht. Mit dem Spiel rund ums Herrschen und „Eis und Feuer“ steht nun ein druckvoller Vergleich an, der ersteren Song hinter sich lässt. Eine Story, verpackt in sich aufbäumende, rohe Deutsche Härte. Dazu das Ermahnen des eigentlich unpolitischen Song-Schreibers: „Fühlst du die Macht, wenn der Weg auch steinig ist, wenn die Wut den Geist zerfrisst, vergiss nie, wer du bist“.
Mitträllerbar und musikalisch zwischen Feuerschwanz-Leichtigkeit und Hämatom-Kehlgeschrei angesiedelt kitzelt „Utgard“, in der nordischen Mythologie das Zuhause von Riesen und Trollen, die Ohrenhaare. Uns holt der Song nicht ab. Geschmackssache, weshalb wir euch stets empfehlen, selber reinzulauschen.
Erstmalig in der Bandgeschichte gibt es Songs auf einem Vinyl-Longplayer zu erwerben sowie ein Holz-Box Set inklusive der Bonus-CD „Famulus“ mit diversen Gimmicks(liegt uns nicht vor).
Reizvoll wäre ein Vergleich Schallplatte-CD, besonders bei hypnotischen Liedern mit archaischem Stampfen wie „Khaos“, ein Lied über den Schatten Gottes (Gods and Demons). Uns zerreißt, dass mp3-Tracks zur Review kaum Feinheiten erkennen lassen. Dazu ertränkt dominates Bass-Gedonner für unseren Geschmack Lieder, die eigentlich hörenswert sind.
Fazit: Sich über die eingeschlagenen Wege einer Band, einen geschliffenen Sound mit Wiedererkennungswert zu bieten, aufzuregen, ist kein Gegenstand dieser Kritik. Niemand vermutet, Musiker leben einzig von ihrer Kunst und Luft.
Über den gewählten Themenkreis Mensch-Leben-Tod, die bekannten Arrangements und die einfache Wortwahl dagegen lässt sich streiten. Mit den musikalisch beliebten Metal-Zutaten schieben Erdling ein weiteres Projekt zum Thema Apokalypse nach Menschen Art nach. Unter der dominanten Bass-Trommel verbergen sich melodische Songs, die uns an bekannte Größen des Dark Music Genres erinnern. Daneben liefert das Quintett aus Essen ein grundsolides Rock-Album ab, das Bock auf Live-Musik macht. Allerdings brennt es sich auf Grund fehlender Highlights nicht ins Ohr.
Erdling touren ab 28. April mit ihren letzten zwei Alben durch elf deutsche Clubs. So lautet das Motto ihrer ausgefallenen/durch Corona verschobenen Tour: „Bestia x Helheim“. Der Auftakt und die Album-Release-Show findet am gleichen Tag in der Hamelner Sumpfblume statt. Special Guest ist die Bielefelder „We don´t give a fuck metal“-Band Soulbound. Karten gibt es hier oder mit Glück an der Abendkasse.
Punkte 7,5 von 10
Tracklist
01.Bestia
02.Deus
03.Und die Erde singt
04.Freiheit
05.Khaos
06.Über Bord
07.Eis und Feuer
08.Katharsis
09.Utgard
10.Der erste Regen
Erdling
Bestia
Label: Out Of Line
VÖ: 28.04.2023
Genre: NDH/Metal/Dark Rock
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