Bevor wir unsere Review starten, weisen wir darauf hin, dass wir dem Künstler weder das Recht auf freie Meinungsäußerung noch das Recht auf künstlerische Freiheit absprechen. Das heißt aber nicht, dass wir als Redaktion mit allen textlichen Aussagen konform gehen! Ihr seid alle alt genug, um euch selbst eine Meinung zu bilden.
November 2024, Dero Goi (Ex-Oomph!) meldet sich mit einem 16-Track starken Album “1984” zurück. Unerwartet für viele präsentiert der Musiker mit „1984“ keine NDH-Scheibe, sondern ein Retro-Synth-80er-Package. Davon einmal abgesehen, bekommt ihr –außer bei einem Song- englische Lyrics auf die Ohren.
Wer sich die Deluxe Edition (Hardcover-Artbook) geleistet hat, bekommt nicht nur musikalisch ein Highlight, sondern draufgesattelt satte 23 Songs. Das künstlerisch gestaltete Buch liefert euch nicht nur alle Songtexte und ein paar Fotos vom aktuellen Dero – hier könnt ihr regelrecht auf visuelle Enddeckungsreise gehen.
Taucht man nun in den Longplayer ab, findet ihr euch, was die Beats angeht, natürlich in den 80´s wieder. Mit von Synth-Pop, Wave und EBM geprägten Liedern, die jedoch thematisch im Hier und Jetzt aufschlagen.
Goi, der zum Glauben gefunden hat (mehr darüber erfahrt ihr bald im Interview), gibt euch auf seinem Solo-Werk mehr als nur eine kleine Bibelstunde. Denn auf dem Doppel-Album geht es textlich sowohl spirituell als auch verschwörungsmythisch zu. [Um euch mitzunehmen, versuchen wir eine Einordnung. Wir halten uns dabei nicht an die Abfolge auf den CDs]
Tracks, die wir unter „Glaube“ einordnen würden:
– „The First Stone“ erinnert ein bisschen an die Person Maria Magdalena und spricht aus unserer Sicht, das typische, heutige Zeitgeschehen an. Jeder denkt, er habe das Recht, andere zu verurteilen, ohne nachzufragen, warum eine Person so ist, wie sie ist – und vergisst dabei natürlich seine ganz eigenen Sünden. Elektronisch melodisch mit Gitarrenriffs, dazu der ruhige, tiefe Gesang komplett in Englisch gehalten, das klingt zwar nach Dero, aber eben nicht nach Oomph! (NDH) – was viele Fans vielleicht erwartet hätten.
– Kräftige EBM-Klänge fluten den Raum, wenn Dero „(What If God Was) One Of Us“ anstimmt. Gesanglich provokanter schlagen uns die Lyrics entgegen. Die melodischen 80´s Vibes regen zum Bewegen an und im Refrain manifestiert sich der ersten Ohrwurm des Tages.
– „Being Alive“ kommt synthlastig mit Elektrostreichern daher. Auch hier setzt sich der Chorus direkt im Hirnspeicher für Endlosschleifen fest. Egal, was man von den Texten hält: Dero weiß, was er macht und wie er uns musikalisch kriegt. Bevor man sich versieht, singt man seine Songs sogar mit.
– „Resurrected“ erzählt die Auferstehungsgeschichte und beginnt klassisch angehaucht mit den vorgenannten Elektrostreichern. Auch wenn man nicht an die biblische Geschichte glaubt, das Lied fesselt einen durch den soften Synth-Gitarren-Sound.
– Ruhige Töne und einen ebenso entspannenden Gesang gibt es bei „It Is finished“ auf die Lauscher. Zusammengefasst lautet die Botschaft: Glaube an Jesus, er hat für uns gelitten, ist für uns gestorben und hat für unsere Sünden bezahlt.
Tracks, die sich „Conspiracy/Verschwörung“ widmen:
– Als zweiter Song des Silberlings schallert ein „Whistleblower“ mit treibend, tanzbaren Beats aus der Anlage. Musikalisch ist das Werk erneut ein Ohrwurm-Garant! Textlich macht Goi auf mehr als nur einen kleinen Missstand der heutigen Zeit und Politik aufmerksam und fordert hier Gerechtigkeit und Freiheit für Personen wie Edward Snowden oder Julian Assange.
– Big Brother is watching you: Mit dem Lied „The Great Reset“ spricht Dero mit werbewirksamen Dancefloor-Rhythmen den gläsernen Erd-Bewohner, der bereitwillig seine Daten im Netz preisgibt, jegliche Apps installiert, mit KIs wie Siri und Alexa kommuniziert und gleichzeitig nach Datenschutz schreit, an.
– Keine Verschwörungstheorie ohne die Illuminati: „322“ beschäftigt sich mit verborgenen Symbolen. Unterlegt mit eingängig frisch daherkommender Melodie frisst sich der Song musikalisch erneut in den Gehörgang.
– Schon George Orwell hat mit seinem Bestseller „1984“ die Problematik des Überwachungsstaates angesprochen. Inwiefern es Goi gelingt, sich nach den Ereignissen der Corona-Zeit dem Thema anzunähern, vermag jeder Hörer für sich selbst entscheiden. Dystopische Melodie und softe Vocals fluten unseren Raum.
Tracks über sog. neuzeitliche Probleme:
– „Shitstorm“ mit seinem behäbig ¾-getaktetem Synth-Folklore-Mix bringt uns zum Schmunzeln. Der sog. „Dunning Kruger Effekt on legs“ beschreibt Menschen, die ein von Selbstüberschätzung verzerrtes Weltbild haben und stets alles besser wissen – oder können- als andere. Textlich perfekt getroffen, doch persönlich fällt uns die musikalische Untermalung einen Hauch zu träge aus.
– Deutlich puschenden Beat gibt es bei „Clickbait“. Der Titel handelt von der Macht von Fake-Überschriften und den sogenannten „15 Seconds of Shame“. Also all die bescheuerten Sachen, die Leute heutzutage für Follower, Likes und einen Kurzzeit-Ruhm so machen.
– „Game Boy“ weckt Erinnerungen. Diese minimalistischen musikalischen Elemente, die Konsolen-Spiele unterlegen. Und wer kennt nicht die spielsüchtige Jugend, die nach Game Boy, Zelda, Tetris und Mario Kart schreit und – bis auf den Highscore – alles im Leben als unwichtig abtut. Ok, wir schalten die Ironie aus. Der Song packt auch uns.
Tracks, die wir textlich nicht zuordnen können:
– „Nah, Nah, Nah“, liefert euch treibende Tanzbeats.
– „A long way out“ kommt mit soften Klängen, melodisch düster und textlich kontrovers daher. In einer Art „Satanic Matrix“ gefangen würde – laut Goi- nur der Glaube und die Suche nach der Wahrheit Erlösung bringen. Wobei man –so verstehen wir seine Aussagen hier – niemanden, nicht einmal gewählten Regierungen, trauen dürfe.
– Der gefräßige Ohrwurm schlägt auch bei „Saturday“ zu. Wir lieben das Ballermann-Party-Feeling dieses charmanten „F…ck you all, still Love you“-Refrains.
Von den weiteren Songs besprechen wir nur die Texte, anhören müsst ihr euch die selbst. Daher ist diese Review etwas länger als für uns üblich. Uns fällt dabei auf, dass wir diesen Liedern, die nicht auf der einfachen CD zu hören sind, mit vermehrter Kritik begegnen.
1. „Learning Deutsch“ – Hier geht es um „Denglisch“ und wie schwierig es in der heutigen Zeit ist, sich ohne Sprachenmix auszudrücken.
2. Manchmal kann der Glaube auch einer verlorenen Seele helfen. „Devil Is A Liar“ vermittelt so ein Gefühl. In unserer Gesellschaft werden Menschen seelisch krank, doch nicht aufgeben, sich Hilfe suchen ist –so verstehen wir das- besser, als sich dem Tod zu ergeben, denn der ist ein Lügner.
3. „Friendly Fascism“ lockt mit zuckersüßer Versklavung. Die kommt zuerst freundlich und für die meisten nicht als Gefahr auszumachen daher. Was du nicht wahrnimmst, fürchtest du auch nicht. Ob Goi mit diesem Lied unsere Demokratie als manipulativ und bürgerunfreundlich empfinden, muss jeder an dieser Stelle für sich selbst entscheiden.
4. In „Trance“ geht es um neue Gender-Bezeichnungen, bzw. darum, dass alle Menschen, nicht nur die in Deutschland lebenden, für sich selbst entscheiden können, wie sie sich als geschlechtliche Person definieren. Goi nähert sich dem Thema sarkastisch, doch der Chorus „I am Trance Vaccinated“ was eine Verständnislosigkeit gegenüber dem Outing von Trance-Personen vermuten lassen könnte. Ihm damit allerdings eine generelle Trance-Feindlichkeit zu unterstellen, empfänden wir als unreflektiert.
5. „Unmasked“ findet kurz beschrieben, die passenden Worte für den heutigen Musiker Goi, der von sich selbst im Lied sagt: „I`m a conspiracy fascist, okay“. Wir als Redaktion einigen uns auf diese Interpretation: „Ich schwimme nicht mit dem Strom, ich mach es auf meine Weise und ihr könnt mich mal gern haben. Nehmt mich wie ich bin, oder lasst mich in Ruhe.“
6. „Archangels“ ruft zum letzten Gefecht „Gut gegen Böse“ auf.
7. „JC“: Jesus Christus von Geburt bis zur Auferstehung.
Was gibt es auf der Deluxe Edition Extra – außer dem Artbook und den oben gelisteten zusätzlichen Songs?
Zwei Seiten Infomaterial, in welchem „A brief History of Conspiracy Theories“ von 1952 bis 2024 aufgelistet ist.
Fazit: Nach mehrfachem Hören des Albums hat das Musikghouls-Teams den Longplayer knapp einstimmig (ja, auch wir kontroversen) in der Kategorie „Totaler Abriss“ eingestuft. Dero liefert auf „1984“ einen Ohrwurm nach dem anderen ab. Die Melodien fesseln mit tanzbaren 80er Beats und einem perfekt abgestimmten Gitarren-Mix. Wie bereits anfangs der Review gesagt, gehen wir nicht mit allen textlichen Aussagen konform und ziehen daher einen Punkt in der Gesamtwertung ab.
Nach Oomph! und Die Kreatur – mit Chris Harms von Lord of the Lost zeigt sich Dero Goi als Künstler auf „1984“ von einer ungewohnten, musikalisch konsequenten Seite. Für uns besticht er mit seinem gesamten Werk. Was nun die Thematik der Songs angeht, muss man berücksichtigen, dass seine Umsetzung nicht bei allen gut ankommt.
Aber so ist es eben. Man kann es nie jedem Recht machen.
Unser persönlicher, meistgehörter Ohrwurm ist „One Of Us“. Danke dafür, Dero!
Wir können euch die Deluxe Edition nur wärmstens empfehlen. Das Artbook ist umfangreich. Es liefert euch alle Lyrics, Fotos und „A brief History of Conspiracy Theories“ für alle, die sich mit Gois Zusammenstellung der Verschwörungstheorien auseinandersetzen wollen.
Dazu ein Hinweis: Verschwörungsmythen faszinieren, ob diese Ungefährlich sind sei dahingestellt.
Punkte 09/10
Tracklist
01. The First Stone
02. Whistleblower
03. One Of Us
04. Being Alive
05. Resurrected
06. Nah Nah Nah
07. The Great Reset
08. 322
09. Shitstorm
10. Clickbait
11. Saturday
12. A Long Way Out
13. It Is Finished
14. Game Boy
15. 1984
16. Under The Bridge
Zusätzliche Tracks auf der Deluxe Edition
01. Learning Deutsch
02. Devil is a Liar
03. Friendly Fascism
04. Trance
05. Unmasked
06. Archangels
07. JC
Dero Goi
Album: 1984
VÖ: November 2024
Genre: Synthpop
Lable: Dependent
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