“Manchmal ziemlich krank, aber genial!”
Wie findet man Autoren, die niemand kennt? Richtig – durch Zufall. Es war 2007 und ich war auf der Suche nach Büchern zum Thema Essstörung. Dabei stieß ich auf das Buch von Dirk Bernemann, “Ich hab die Unschuld kotzen sehen”. Hierbei ginges allerdings weniger um Bulimie als um aggressives Auskotzen von Worten und der Übelkeit, die einen einstweilen überfällt, wenn man mit der Gattung Mensch zu tun hat. Dirk Bernemann richtet den Blick auf die Abgründe der Menschen und drückt dieses in irgendwie miteinander verwobenen Kurzgeschichten aus. Mit seinem Erstling wandelt er stark an den Grenzen guten Geschmacks, was das Lesevergnügen jedoch nicht schmälert. Über die Jahre hat sich Dirk Bernemanns sprachliche Raffinesse steil aufwärts entwickelt und obwohl er weiterhin den Finger – ach was, die Faust- auf die Wunden der Gesellschaft presst und immer noch den Salzstreuer parat hält, damit es auch richtig wehtut, sind seine Bücher purer Genuss. Dank seines Blogs “Der Unaufällig Fallende” bekommt man kostenlos immer mal wieder kleine Geschichten, zu denen man nur nicken kann. Verdammt, der Mann hat Recht und wie schön er die hässlichsten Seiten der Menschheit in Worte wandelt.
Nachdem ich Dirk Bernemann also das erste Mal 2015 in Hannover im Lindwurm zur Lesung gesehen habe, war klar, das ich mir die Lesung zu seinem neusten Werk in Hannover im Chez Heinz nicht entgehen lassen durfte. Es war ein Freitag und man war tot von der Woche, aber für Dirk Bernemann erhebt man sich schon mal vom Sofa um sich wieder mal etwas Kultur zu Gemüte zu führen – und fühlt sich nach diesem außergewöhnlichen Wortschwall wie neugeboren.
Es war also Freitag, der 1. September und weil es irgendwie selten außergewöhnliche Künstler nach Hannover verschlägt, freute man sich umso mehr Dirk Bernemann einmal mehr in Hannover begrüßen zu dürfen. Einlass war um 20 Uhr kurz vorher sammelten sich die ersten schwarzen Gestalten vor den Türen des Chez Heinz in Hannover. Eintritt betrug 10,- und da konnte man wirklich nicht meckern. Das Chez Heinz ist ein niedlicher kleiner Club im Herzens Hannover, in dem man sich einfach wohlfühlt.
Vor der Bühne waren ein paar Stuhlreihen aufgebaut. Auf der Bühne selbst der obligatorische, schummrig beleuchtete Schreibtisch mit Klemmleuchte und Mikrofon. Pünktlich um 21 Uhr betrat Dirk Bernemann die Bühne, den Arm voller Bücher und loser Zettel und einem Glas Wein.
Er eröffnete den Abend mit dankenden Worten, darüber das Menschen erschienen waren um ihm zu lauschen und das man doch nicht vergessen dürfe, die Kultur zu unterstützen. Es sei wichtig, denn sonst sterben kleine Veranstaltungen wie diese aus. Recht hat er. Er fängt auch bald an zu lesen, denn er ist, wie er selbst sagt, weniger Redner als viel mehr Leser.
Und so lehnen sich die Zuhörer zurück und lauschen Dirk Bernemann, wie er aus seinem neusten Buch, “Ich hab die Unschuld kotzen sehen 4” vorliest. Er liest an diesem Abend unter Anderem “Der unauffällig Fallende” und “Apokalypse ist was du draus machst”. Während der erste Text gewohnt makaber und schmerzhaft daherkommt und einen Tag im Leben des Autors beschreibt, plus fiktivem Bushunfall und den Reaktionen aller Statisten, entlockt einem letzterer einen herzhaften Lacher nach dem Anderen. Niemand kann Hamsterkäufe so herrlich literarisch verwursten wie Dirk Bernemann.
Nach dem ersten Teil zögern die Zuhörer mit Klatschen. Dirk Bernemann, wie er eben so ist, sagt: “Ihr braucht auch nicht klatschen. Das ist schon ok.” Und mit seiner ehrlichen, sympathischen Art lockert er den Abend auf. Nach einer Stunde macht er eine 15 minütige Pause. Er erzählt, das am Vorabend in Berlin das Café so klein gewesen sei, das die Zuhörer direkt vor seinem kleinen Pult gesessen haben und sagt, wir können gern nach vorn rutschen, oder uns direkt auf die Bühne setzen. Ein paar Lachen, niemand bewegt sich. Aber nach der Pause, als Dirk Bernemann die Bühne erneut betritt, nehmen alle wie abgesprochen ihre Stühle und ihr Bier und setzen sich direkt an den Bühnenrand, Füße auf die Bühne gelegt. Es ist eine gemütliche Atmosphäre. Hier und da lacht das Publikum. Denn trotz all makabrer Ernsthaftigkeit und Ehrlichkeit und dem Leben ins Gesicht-gegucke, ist und bleibt Dirk Bernemann auch irgendwie witzig. Er liest noch aus einem älteren Buch, aber nicht aus den ganz alten, aus den Ersten, denn diese findet er nach all den Jahren selbst fragwürdig, wie er sagt. Trotzdem hat er dieses Jahr eine mit Kommentaren versehene Jubiläumsausgabe der “Ich hab die Unschuld kotzen sehen” Reihe veröffentlicht. Die losen Zettel, die Dirk Bernemann mit auf die Bühne brachte, entpuppten sich als teilweise unveröffentlichte neuere Texte, die er auch vorlas, während er die fertig verlesenen Zettel elegant links und rechts von sich zu Boden gleiten ließ. Diese losen Blätter strahlten einen gewissen Charme aus, sahen sie doch bereits recht mitgenommen aus. Ganz zum Schluss erzählte Dirk Bernemann uns noch, das er anfangs eher gedichtet hat und er versuchen wolle, eines dieser Gedichte aus dem Gedächtnis wiederzugeben. Er trug es – fehlerlos und ohne zu stocken- vor und man muss zugeben, ja, das Dichten, das kann er auch. Und zwar ziemlich gut. Dirk Bernemann hat es einfach drauf.
Und nach viel zu kurzen zwei Stunden ist der Abend dann leider schon wieder vorbei. Es bleibt nur zu sagen: Danke Dirk, und komm’ bald wieder.