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Tanzwut – Die Tanzwut kehrt zurück Special-Edition

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Tanzwut live, oder – es wäre schön, dabei gewesen zu sein

Die Mittelalterrocker von Tanzwut veröffentlichen ihre – erstaunlicherweise – erst zweite Live-CD, die eigentlich keine ist. Ab 17. Dezember ist der acht Track starke Sackpfeifenhaltige-Silberling erhältlich. Er soll die nach Konzerten lechzende Fan-Base mit Beispielhaftem aus der Bandgeschichte und aktuellen Werken bis zum Wiedersehen auf und vor der Bühne vertrösten. Entstanden sind die Aufnahmen im Rahmen des Online Musik Festivals 2021. Eine aufwändige Produktion stecke dahinter, verspricht die Band. Ein Platzhalter, sagt die Redaktion.

Veitstanz gegen die Seuche

Vor über 600 Jahren herrschte die Pest in Europa. Um dem Leiden und der Machtlosigkeit gegenüber dem Virus zu entkommen, tanzten Gruppen von Menschen sich in Ekstase bis zum völligen Zusammenbruch oder Tod. Dieses Phänomen heißt Veitstanz, oder, anders gesprochen, Tanzwut. Hervorgegangen aus der Spielmannsgruppe Corvus Corax steht die Berliner Band Tanzwut seit 1997 voll in der Mittelalterrock-Strömung von Combos wie In Extremo oder Subway To Sally. Ihre Spezialität: Mitreißende Live-Auftritte in fantasievollen Outfits. Doch dann kamen Corona und damit das Schweigen der Künste.

Am 22. Januar 2021 erscheint mit dem Video „Die Tanzwut kehrt zurück“ der erste Funke lodernden Feuers voller Spielmannspassion. Der als Rock-Hymne mit Folkzutaten mutierte Song rund um das Pestgeschehen enthält die trotzige Botschaft von Frontmann Teufel: „Der Tod kann jede Stunde sein, drum leb’ im Hier und Jetzt“.

Hautnah vs. Online

Tanzwuttypisch elektronisch unterstützt, mit elektrisierenden Gitarren, Sackpfeifen-Burn-Out-Geräuschen und des Teufels beschwörend-brechender Stimme bereitet der Song auf das im 28. Mai erscheinende gleichnamige Album vor. Weil das Corona-Geschehen im zweiten Jahr Konzertplanungen wiederholt auf den Haufen wirft, bieten Teufel und seine Mannen eine Online-Zusammenkunft an. So vermarkten sich im zweiten Pandemie-Jahr live am Bildschirm reihenweise Künstler. Für das 25. Jubiläumsjahr 2022 dagegen planen die sieben tanzwütigen Musiker derzeit wieder Live-Auftritte vor Publikum. Ein Vorgeschmack.

Back on CD

„Die Tanzwut kehrt zurück“ hieß es im Mai diesen Jahres. Zu den neuen Liedern dieses Albums äußern sich Hörer und Kritiker zwiespältig. „Die Seele brennt“, schreibt Matthias Preisinger auf Youtube zum Titeltrack. Toni Hennig von laut.de dagegen sieht außer „harten Gitarren, melodischen Sackpfeifentönen und bierseligem Text nach dem Credo “man soll die Feste feiern, wie sie fallen” nichts essentiell Neues“ und packt das so kommentierte NDH-blastige Album in die unter „Ferner liefen“-Schublade des Allgemein-Geschmacks von Musikliebhabern der schwarzen Szene.

Nach „Die Tanzwut kehrt zurück“ folgen im Dezember die Rosinen des Albums in einer Live-Version

Im Detail

Aller guten Dinge sind der Tanzwut drei: Also „drei Schritt vor und drei zurück“, wie es im ersten Lied der Kompilation heißt. Premiere des Tracks „Die Tanzwut kehrt zurück“ (Aus dem gleichnamigen Album, das im Folgenden als „DTkz“ abgekürzt wird) war bereits am 22. Januar 2021, er wurde veröffentlicht auf dem Album am 28. Mai 2021 und erwirbt als Pseudo-Live-Kracher am 17. Dezember 2021 die gleichen Rechte wie Liebgehörtes. Der bekannte Tanzwuteigene Melodienreigen kombiniert mit reibendem Dudelsack-Geplärre lässt die Zunge im Gaumen des konventionellen Fans wie gewohnt rotieren. Das Thema bleibt aktuell, denn „Der Tod geht um im Land“. Dazu leistet Fronter Teufel, der als rauer „Sensemann, der mit uns saufen will“ das letzte Feiern beschwört, markante Stimmbalanceakte, wobei ihm eher Leidenschaft als Güte zur Verfügung stehen.

Wer auf melancholische Balladen mit Fernweh nach Ozeanen steht, deren Shanty-Grundbausatz von Gitarren und Piano getragen wird, findet in „Bis zum Meer“ („DTkz“) ein passendes Äquivalent zum Stillen dieses Begehrens. Der Tasten und Saiten-Song gleitet gediegen sphärisch über die Wellen, gesteuert von einem singenden Kapitän, der sein Leid gen Horizont singt.

Das Rezept für erfolgreich mitsingbare Bühnensongs der schwarzen Szene lautet: Man nehme Aberglaube als Thema und lasse den Teufel dazu lachen. „Nimm dich in Acht vorm bösen Blick, die 13 bringt das Missgeschick, nimm dich in Acht vor Spiegelscherben, die sieben Jahre dir verderben.“ „Freitag der 13.“, Tanzwuts epischer Ritt aus 2015, mixt musikalisch Mittelalterrock mit neudeutscher Hartzeit. Das Ergebnis präsentiert sich – trotz wenig epischem Text – in einer ansprechend aufbereiteten End-2021er Live-Vision.

Ein Song, der zum schwarzen Schmunzeln einlädt und gleichzeitig das doppeldeutige Gesicht der Band zeigt, ist “Die Geister, die wir riefen“(„DTkz“). Einerseits fesselt der Text gekonnt mit Goethe-Zitaten, andererseits packen die Arrangeure ihr Lied in ein knöchernes Tango-Gerüst: „Es dreht sich im Kreise im gleißenden Licht, ein Sackpfeifenspieler, ein knöchriger Wicht, und aus allen Ecken strömen herbei, Gespenster und Geister mit lautem Geschrei“. Wie Bill Murray mit dem Murmeltiertag, so grüßt die Weihnachtsgeschichte in der bildhaften Fassung des Schiebers von Tanzwut. Rein aus purer Unterhaltungslust verlangt dieses Lied live auf die Bühnen 2022 gebracht zu werden.

Refrains á la In Extremo greifen auf eine gemeinsame Fan-Basis zu beim fünf Jahre alten „Schreib es mit Blut“. Der einzig denkbare Grund für das Einfügen dieses Songs ist – genau jener.

Dem Egotrip eine Kante zu weisen, ist das Anliegen von „Narziss“ („DTkz“). Würde Lindemann seinen nicht vorhandenen Hut vor des Tanzwut Teufels „Was kümmerts mich was and’re sehn, Die Welt dreht sich um mich“ ziehen? Vermutlich nicht. Das nach bekanntem Schema Gitarre plus Dudelsack plus Laufen lassen produzierte Lied trotzt nur marginal den Missständen und bietet zu wenig Reibungskräfte, um einen konstruktiven Kontrapunkt zu setzen.

Mit „Pack schlägt sich, Pack verträgt sich“ („DTkz“) erheben sich alle laut Ansage online von ihren Sofas und feiern getreu diesem Motto die durch Blutsbrüderschaft verbundene Freundschaft unter konkurrierenden Bandkollegen gemeinsam mit Tanzwut und Saltatio Mortis. Letztere sind auf dem Live-Sampler nicht dabei. Neben den auftaktenden, griffigen Saiten, die Lust wecken und des Sackpfeifers besten Häuten, die im Frontlicht stehen, gröhlt Mike Paulenz alias Teufel zusammengefasst: „Wir verlassen die allzu flache Erdenscheibe, und springen nach unten, auf das sie entzwei bricht. Auf das wir wissen, was auf der anderen Seite der Scheibe ist… Ein Leben voller Träume, nimmt uns keiner weg.“ Läuft – live auf Bildschirmen.

Mit der multifunktionalen Liebeserklärung an „Berlin“ („DTkz“) huldigen Tanzwut Ikonen wie Humpe und der NDW-Crew. „Berlin – ich kann nicht mit dir, nicht ohne dich“ – haben wir doch schon einmal gehört? NDW mit Dudelsack ist definitiv ein Neu-Go und hiermit zeigen Tanzwut zaghaft Mut zur Weiterentwicklung. Der Song punktet, trotz eingeblendetem Applaus mit seinem nostalgischen 80er-Jahre-Flair.

Fazit:

Kurz gefasst, wer bereits den Frühlings-Sampler „Die Tanzwut kehrt zurück“ im Regal stehen hat, vermag auf dieses Pseudo-Live-Erlebnis verzichten. Außer, er möchte die Künstler zusätzlich unterstützen. Acht der siebzehn Tracks stehen als Rosinen aus dem neuen Album gepickt aus einer Setlist, unter welche Applaus für das Pseudo-Best-Of von 2021 gemischt, live aufbereitet und in Richtung Genießen unterm Weihnachtsbaum geschoben, erwünscht ist. Das ist legitim. Obwohl sich genau diese Songs noch auf standfesten Bühnen vor anwesendem Publikum, egal ob Regen oder Sonne, noch beweisen müssen.

Technisch genügt der Hinweis auf das Online-Streaming, um die Qualität des Gehörten einzuordnen, das Computeranimierte Wacken Open Air mit den Zuschauer-Silhouetten hat es vorgemacht. Legitime Eulenspiegeleien wie diese, helfen Künstlern wie diesen, in Zeiten wie diesen, zu überleben.

Hinweis für Käufer:

Besteller der aktuellen CD bekommen auf der Webseite ein kostenloses Giveaway. Sie dürfen sich entweder den 2CD-Pack Live als CD oder DVD von 2004 in ihren Warenkorb legen. Das Angebot gilt nur, solange es verfügbar ist.

Punkte 7,5 von 10

Label: NoCut Entertainment
VÖ: 17.12.2021
Format: CD, plus Bonusmaterial

Trackliste:

1. Die Tanzwut kehrt zurück (Live) – 3:51 Min
2. Bis zum Meer (Live) – 4:48 Min.
3. Freitag der 13. (Live) – 5:12 Min.
4. Die Geister, die wir riefen (Live) – 4:59 Min.
5. Schreib es mit Blut (Live) – 3:26 Min.
6. Narziss (Live) – 4:40 Min.
7. Pack (Live) – 4:31 Min.
8. Berlin (Live) – 3:51 Min.

 

 

Redakteur:gela